Schloss Wiligrad,                                                                               Herrschaftsflügel und Wirtschaftsflügel

 Ab Ostern 2024 finden Sie am untersten Ende des Kapitels "Herrschaftsflügel und Wirtschaftsflügel" - wie auch am untersten Enden der separaten "Startseite" - eine PDF-Datei, in welcher die "Architektur und Baustruktur des Schlosses Wiligrad" vom Verfasser dieser Webseite - gut verständlich - beschrieben worden ist. Wenn Sie diese Datei in einem Gebiet mit normaler Internetversorgung auf Ihr Handy laden, wird der Zugriff auf architekturmäßige Informationen zum Schloss Wiligrad - unabhängig vom Internetempfang auf dem Gelände des Schlossareals - endlich möglich!

 

Gesamt-Gliederung

 

1.   Bauherr und Baugeschichte des Schlosses

 

2.   Das Schlossareal (Kurzfassung)

 

3.   Die Baustruktur und Architektur des Schlossgebäudes

 

      3.0   Grundsatzerklärung zum geringfügigen Bezug auf Wikipedia

 

      3.1    Schlossansichten

 

      3.2   Die äußere Baustruktur des Schlosses

 

               3.2.1   Zweiflügelanlage mit einem Treppenturm im Hofwinkel

 

               3.2.2   Flügelspreizung von 135°

 

               3.2.3   Unterteilung in Herrschaftsflügel u. Wirtschaftsflügel

 

      3.3   Die Fassadengestaltung des Schlosses

 

               3.3.1   Unterschiedliche Architekturstile am Herrsch.- u. am Wirtsch.-Flügel

 

               3.3.2   Merkmale der Renaissance-Architektur an beiden Schloss-Flügeln

 

               3.3.3   Detailinformationen zum Johann-Albrecht-Terrakotta-Stil am Herrschaftsflügel

 

               3.3.4   Detailinformationen zur norddeutschen Backstein-Renaissance am Wirtschaftsflügel

 

      3.4   Die innere Baustruktur des Herrschaftsflügels - Erschließung durch eine zentrale Treppenhalle

 

             3.4.1   Das Prinzip des asymmetrischen Bauens "von innen nach außen" 

 

              3.4.2    Das Erschließen durch eine zentrale, zweigeschossige Treppenhalle

 

      3.5   Die repräsentativen Innenräume des Herrschaftsflügels im Erdgeschoss

 

               3.5.1   Unterteilung der Räume in dienstlich, gesellschaftlich u. privat

 

               3.5.2   Innenarchitektur der repräsentativen Gesellschaftsräume

 

               3.5.3   Gestaltung der repräsentativen Diensträume des Herzogs

 

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4.   Die Nebengebäude auf dem Schlossareal

      (als separater Hauptpunkt)

 

      4.1   Heiz- und Maschinenhaus

 

      4.2   Bediensteten-Wohnhaus

 

      4.3   Kavaliershaus

 

      4.4   Gärtnerhaus

 

      4.5   Marstall

 

5.   Abbildungs- u. Quellennachweise für Kapitel 3 u. 4

      (als separater Hauptpunkt)

 

 

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1.     Bauherr und Baugeschichte des Schlosses

         Herzog Johann Albrecht,  Aktivitäten vor der Baudurchführung, Bauablauf

 

Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg kam im Dezember 1857 als  nachgeborener Sohn des Großherzogs Friedrich Franz II. und dessen Ehefrau Auguste (Tochter eines thüringischen Fürsten aus dem weitverzweigten Hause Reuß) im Schweriner Residenzschloss  zur Welt.

 

Schon als Schüler befasste er sich gern mit  deutscher und europäischer Geschichte – ebenso mit Erdkunde und Völkerkunde.

 

Während seiner mehrsemestrigen Studienzeit (Jura und Philosophie) in Dresden und Bonn unternahm er ausgedehnte Reisen nach West- und Südeuropa und lernte dort vor Ort besonders eindrucksvolle Renaissance-Bauwerke kennen. In der Folge interessierte er sich auch für die deutsche Architektur, besonders für die Bauten der deutschen Renaissance.

 

Im Jahr 1881 ging Johann Albrecht im Alter von 24 Jahren – so wie es in deutschen Fürstenhäusern üblich war - zum Militär. Beim Potsdamer Leibgarde-Husaren-Regiment absolvierte er eine Ausbildung zum Kavallerie-Offizier. Unmittelbar danach trat er im November 1882 eine 13-monatige Weltreise nach Asien bzw. ins „British Empire“ an, was nicht unbedingt von einer starken Leidenschaft zum Offiziersberuf spricht und vermuten lässt, das Johann Albrecht auch keine dauerhafte Militärkarriere im aktiven Dienst anstrebte. Seine Kandidatur für den Deutschen Reichstag im Jahr 1884 (im Alter von 27 Jahren) - als Angehöriger der „Konservativen Partei“ - hatte allerdings keinen Erfolg. [1] Trotzdem galt sein Hauptinteresse auch weiterhin der Politik!

 

Vermutlich entsprach die Unterordnung in einer Militärhierarchie weder seinem persönlichen noch seinem fürstlichen Selbstverständnis!

 

Im Jahr 1886 heiratete Johann Albrecht eine sächsisch-thüringische Prinzessin aus dem großherzoglichen Hause Sachsen-Weimar-Eisenach. Neben dem Vermögen seiner etwas älteren Ehefrau zählte wohl auch deren Herkunft aus einer europäischen „Kultur-Großmacht“.

 

1886/87 ließ der Großherzog Friedrich Franz III. -  älterer Bruder von Johann Albrecht - am südlichen Hochufer des Schweriner Sees  das Landschloss Raben-Steinfeld errichten. Der äußerlich schlichte und etwas unförmige Backsteinbau mit leichten Fassaden-Bezügen zur französischen Renaissance gehörte   zum  großherzoglichen Gestüt Raben-Steinfeld. Die Lage des Landschlosses Raben-Steinfeld und seines englischen Landschaftsparks müssen auf Johann Albrecht – wegen der traumhaften Ausblicke auf den Schweriner See – eine große Wirkung ausgeübt haben.

 

1887 bezog Johann Albrecht mit seiner frisch angetrauten Ehefrau Elisabeth eine kompakte Neo-Renaissance-Mietvilla in Potsdam – direkt am Ufer des Heiligen Sees. Die am Seeufer benachbarte Mietvilla diente zur Unterbringung des herzoglichen Hofstaates [2]. Beide Häuser wurden von Johann Albrecht und Ehefrau nebst Hofstaat direkt nach der baulichen Fertigstellung übernommen und bis zum Jahr 1897 (Umzug nach Schwerin) bewohnt [3]!

 

 

Bild 1, Straßenansicht der Mietvilla des Herzogs Johann Albrecht zu Mecklenburg und seiner ersten Ehefrau Elisabeth am Heiligen See in Potsdam (Villenviertel in der „Berliner Vorstadt“, Stadtteil von Potsdam),

Foto: Joachim Müller, Schwerin; im Febr. 2017

Bild 2, Blick aus der Nähe des ehemaligen Bootssteges vom Herzogs Johann Albrecht zu Mecklenburg über den Heiligen See in Potsdam,

Foto: J. Müller, Schwerin; im Febr. 2017

Da auf Seiten des Herzogs Johann Albrecht kein wirkliches Interesse an einer langwierigen, aktiven Militärlaufbahn bestand, dürfte er spätestens zu Beginn der 1890 Jahre erste Überlegungen zum Errichten eines eigenen Herrensitzes am Ufer des Schweriner Sees angestellt haben. Die finanziellen Voraussetzungen dafür waren insofern gegeben, als seine Ehefrau  ein reiches Erbe von ihrer Mutter - einer niederländischen Prinzessin – zu erwarten hatte [4].

 

Seit seiner Studentenzeit war Johann Albrecht mit dem damaligen Prinzen Wilhelm von Preußen gut bekannt, mit dem er 1884 sogar gemeinsam auf Staatsbesuch in Rußland  weilte. Beide dienten vor 1888 (Erhebung des Prinzen zum deutschen Kaiser Wilhelm II.)  bei den Potsdamer Gardehusaren. 

Während seiner Potsdamer Militärzeit war Herzog Johann Albrecht häufiger Gast im Neuen Palais in Potsdam und wurde stets zu den großen kaiserlichen Hofjagden eingeladen. [5]

 

Nachdem  Herzog Johann Albrecht und seine Ehefrau den Entschluss gefasst hatten,  in der Heimat des Herzogs einen eigenen Herrensitz errichten zu lassen, war natürlich klar, dass die Lage keine schlechtere sein durfte, als in Potsdam am Heiligen See! 

Dafür bot sich ein Bauplatz an, der auf großherzoglichen Grundbesitz am hohen, westlichen Ufer des Schweriner Außen-Sees lag – die Örtlichkeit des heutigen Schlossareals Wiligrad.

 

Schon immer war es üblich, dass man sich in hochadeligen Familien - bei geplanten Bauvorhaben - danach umschaute, wie andere hohe Herrschaften (im gesellschaftlich gleichrangigen Umfeld) ihre Neubauten hatten ausführen lassen. Diese Verhaltensweise unterlag zwischen der Gotik und dem Historismus um 1900 herum keinerlei Veränderung.

Folglich ist anzunehmen, dass Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg bei seiner Suche nach dem Erscheinungsbild, der Baustruktur und der Architektur des eigenen Herrensitzes - auch und besonders - die neuesten Schlossbauten der königlich-preußischen bzw. kaiserlichen Familie einbezogen hat.

 

Hier bot sich nun als besonders interessanter Schloss-Neubau der Witwensitz von Victoria Kaiserin Friedrich an, einer englischen Prinzessin (Tochter der Königin Victoria) und Mutter des deutschen Kaisers Wilhelm II. Dieser Herrensitz „Schloss Friedrichshof“ war von 1890 – 1893 im preußischen Teil Hessens entstanden, in Kronberg  - an den „Taunushängen“ oberhalb von  Frankfurt am Main. Der in England aufgewachsene, kaiserliche Hofarchitekt Ernst Ihne hatte das Schloss nach der Baustruktur englischer Herrensitze für die vormalige, englische Prinzessin Victoria entworfen.          Die Mehrflügelanlage mit Herrschaftsflügel, Wirtschaftsflügel und einem Treppenturm verfügt im empfangsseitigen Hofwinkel (und im Bereich des Wirtschaftshofes) über eine sehr seltene Flügelspreizung  von 135° („normal“ wären eher  90°)!

 

Zu vermuten ist, dass Johann Albrecht vom kaiserlichen Hofarchitekten noch auf weitere, interessante Schloss-Neuschöpfungen der 1870er bis 1880er Jahre hingewiesen wurde, eventuell auch auf das preußische Diplomaten-Schloss Neu-Potsdam in Rauisch-Holzhausen bei Wetzlar (gleichfalls in Hessen), welches in seinem Erscheinungsbild und in seiner Flügelspreizung von 135 ° eine gewisse Ähnlichkeit zum Schloss Wiligrad aufweist.

 

Auf jeden Fall dürfte der kaiserliche Hofarchitekt dem Herzog auch seine Entwürfe für das großbürgerliche Landhaus Mendelssohn in Berlin-Grunewald vorgestellt haben. Dieses zweiflügelige Gebäude mit einem Treppenturm im Hofwinkel wurde von 1894 – 1896 am Ufer eines kleinen Sees auf dem größten Baugrundstück (22.000 m²) der Villensiedlung Grunewald errichtet. Die Netto-Grundfläche des Landhauses Mendelssohn lag bei ca. 700 m² - die Netto-Grundfläche des Schlossgebäudes Wiligrad liegt dagegen bei 900 m².  Beide Gebäude sind nach dem Prinzip englischer Herrensitze in Herrschaftsflügel und Wirtschaftsflügel unterteilt und weisen an den Flügeln unterschiedliche Architekturstile auf.

 

Eine gewisse bauliche Verwandtschaft zwischen dem herzoglichen Schloss Wiligrad, dem kaiserlichen Schloss Friedrichshof und dem großbürgerlichen Landhaus Mendelssohn ist unverkennbar; eine Ähnlichkeit im Erscheinungsbild zwischen dem Schloss Wiligrad und  dem Diplomaten-Schloss Neu Potsdam kann nicht bestritten werden!

 

Alle drei Häuser dürften dem Herzog Johann Albrecht zumindest als Anregung gedient haben.                   

Ein Besuch der entsprechenden Örtlichkeiten durch Johann Albrecht ist anzunehmen!

 

Eigentlich kann  man sich nur wundern, weshalb vom Herzog oder seinem Architekten Albrecht Haupt keinerlei Dokumente oder Artikel bekannt sind, die auf die obigen Anregungen hinweisen.

Albrecht Haupt erklärt in einem Fachartikel aus dem Jahr 1903 lediglich, dass ihm alle wesentlichen Angaben zur Baustruktur des Schlosses vom Herzog im Detail vorgegeben worden sind!

 

 

Anmerkung (vom 16.06.2017):

In einem Gedankenaustausch mit Kennern der deutschen Geschichte - speziell für die Regierungszeit von Kaiser Wilhelm II. (1888 bis 1918) - wurden zum Nichtbenennen der obigen Anregungen bzw. Vorbilder für Schloss Wiligrad folgende Auffassungen vertreten:

 -       Die verwitwete Victoria Kaiserin Friedrich - langjährige Kronprinzessin des Königreiches Preußen und des Deutschen Kaiserreiches -  war aufgrund ihrer englischen Herkunft in den 1890er Jahren in Deutschland eher unpopulär.

 -       Der Privatbankier Franz von Mendelssohn stammte aus einer Gelehrten- und Bankiersfamilie, die gerade mal zwei Generationen vor ihm vom jüdischen zum christlich-evangelischen Glauben konvertiert war. Teile der vormals jüdischen Großfamilie Mendelssohn hatten ihren ursprünglichen Glauben beigehalten. Der Herzog Johann Albrecht verfügte über eine grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber dem Judentum [6].

 

 -       Albrecht Haupt war als Bauhistoriker sehr stolz darauf, dass er mit dem historistischen Schloss Wiligrad ein  „nahezu echtes“ Bauwerk der deutschen bzw. „nordischen“ Renaissance  erschaffen hatte.

Durch die Fassadengestaltung im Johann-Albrecht-Terrakotta-Stil (Herrschaftsflügel) bzw. im Stil der norddeutsche Backstein-Renaissance (Wirtschaftsflügel) und mit der Wahl asymmetrischen Ansichten und Grundrisse ist ihm diese Aufgabe meisterhaft gelungen.  Einen Hinweis auf das Anwenden der Baustruktur englischer Herrensitze bzw. auf Anregungen vom Schloss Friedrichshof oder dem Landhaus Mendelssohn her, hat er wohl vermieden, weil dadurch seine schöpferischen Leistungen aus der Sicht seiner Fachkollegen oder künftiger Auftraggeber reduziert worden wären!

 

Schon bevor sich der Herzog im Rahmen seiner eigenen Schloss-Recherchen zum Erscheinungsbild und zur Baustruktur seines Herrensitzes in Mecklenburg klar entschieden hatte, war er daran gegangen, einen passenden Architekturstil auszuwählen. Als Kenner bzw. "Verehrer" der ursprünglichen Renaissance-Architektur des 16. u. 17. Jhd. fiel seine Wahl natürlich auf diese!

Ein hoch anerkannter Vorfahre von Johann Albrecht aus der Renaissancezeit (Herzog Johann Albrecht I.) - dessen Namen er durch Zufall auch noch trug und den er als persönliches Vorbild betrachtete - hatte während seiner Regierungszeit (ca. 1550-1575) einen sehr speziellen und ziemlich eigenständigen, mecklenburgischen Terrakotta-Baustil favorisiert. Dieser hoch repräsentative, mecklenburgische Renaissance-Baustil war später sogar nach ihm benannt worden!

Somit lag die Anwendung des geschichtsträchtigen  "Johann-Albrecht-Terrakotta-Stils" am künftigen "Schloss Wiligrad"  geradezu auf der Hand.

Der vom Herzog ausgewählte Architekt, Albrecht Haupt aus Hannover, hatte von 1891 bis 1894 sogar die Umgestaltung des Landschlosses Basedow, eines ostmecklenburgischen Herrensitzes, im Stil der mecklenburgischen Terrakotta-Architektur geplant und baulich umgesetzt. Er passte als Architektur-Historiker  also hervorragend zum Bauvorhaben des Herzogs!

 

Da sich Johann Albrecht für sein Schloss zur Baustruktur englischer Herrensitze entschieden hatte (Unterteilung in Herrschaftsflügel und Wirtschaftsflügel bei verschiedenartiger Fassadengestaltung) und der ehemals rein herzogliche Johann-Albrecht-Terrakotta-Stil (Anwendungszeit 1550 - 1575) demzufolge am Wirtschaftsflügel nicht hin gehörte, schlug der hannoversche Architekt Albrecht Haupt hierfür einen anderen, norddeutschen Renaissance-Baustil vor. Dieser stammte aus der Zeit von 1525 – 1625 und war als Bauform der "Backsteinrenaissance" in ganz Norddeutschland gebräuchlich, besonders in den reichen Hansestädten  Lüneburg und Lübeck.

Damit hatte man am Wiligrader Schlossbauwerk das durchgängige Vorhandensein zweier "echter", norddeutscher Renaissance-Baustile erreicht, wodurch sich Schloss Wiligrad sehr positiv von vergleichbaren Herrensitzen mit unhistorischen "Phantasie-Fassaden" unterscheidet!

 

Hinsichtlich der Innenstruktur des Herrschaftsflügels hatten sich Herzog und Architekt wohl von der stattlichen, zweigeschossigen Treppenhalle des Landhauses Mendelssohn anregen lassen, die Albrecht Haupt mit seinem Entwurf für Schloss Wiligrad in Größe und "Lebendigkeit" jedoch weit übertraf!                                

Er schuf mit seinem freundlichen - weil hellen,  weit gespannten und beachtlich hohen Empfangsraum eine der gewaltigsten Treppenhallen ihrer Bauart im deutschen Sprachraum!

 

Im Jan. 1895 wurde Herzog Johann Albrecht im Dienstrang eines Majors zum Vorsitzenden der Deutschen Kolonialgesellschaft gewählt – er befand sich gerade in Neapel auf dem Weg nach Ceylon, als er am 15. Jan. 1895 diese Nachricht erhielt. Nach seiner Rückkehr aus dem British Empire übernahm er Anfang Juni 1895 die Geschäfte der Kolonialgesellschaft und beendete zugleich seinen aktiven Militärdienst [7] - vermutlich ohne Bedauern! 

Zuvor war er noch zum „Oberstleutnant, ehrenhalber“ ernannt worden [8]!

 

Der Architekt Albrecht Haupt hatte seine Planungen für das Schloss Wiligrad auch bei Abwesenheit des Herzogs im Winter und Frühjahr 1895 kräftig vorangetrieben, so dass die Tiefbauarbeiten für die Schlossfundamente schon im Mai/Juni 1895 beginnen konnten. Die Arbeiten an der Außenhaut des Schlossbauwerkes konnten nach zwei Jahren im Juni 1897 [9] abgeschlossen werden.

 

Nach seinem Abschied vom Potsdamer Militärdienst im Juni 1895 weilte Herzog Johann Albrecht recht häufig auf der Baustelle. Auch seine Ehefrau war in ihrem Bemühen um  Baustellenbesuche kaum zu bremsen.  Selbst mäßiges Wetter und Baustellenmatsch konnten sie nicht abschrecken. Zur Not nahm sie schon mal die Hilfe eines kräftigen Fluss-Schiffers in Anspruch, der sie „huckepack“ über unwegsamen Untergrund trug [10].

 

Die Materialtransporte zur Schlossbaustelle waren in der Anfangszeit recht schwierig, weil es keine befestigte Straße zwischen dem Eisenbahn-Haltepunkt Lübstorf und dem Schlossareal gab.

 

Deshalb wurden auch die meisten Baumaterialien (Ziegelsteine, Feldsteine für den Sockel, Bauholz u. s. w.) mittels Schuten (Lastkähne) am Seeufer unterhalb der Schlossbaustelle angeliefert und  mittels Schrägaufzug mehr als 25 m nach oben befördert. Die Antriebskraft lieferte eine Baustellen-Dampfmaschine [11]!

 

Die Feldsteine für den Sockel stammten von den Fluren östlich des Schweriner Innensees, der Bausand kam von der zu Wiligrad  benachbarten Insel Lieps im Schweriner Außensee.

 

Der Wohnsitz Johann Albrechts und seiner Ehefrau befand sich seit dem Jahr 1887 in Potsdam am Heiligen See. Ende August 1897 verlegte er ihn endgültig zurück in seine mecklenburgische Heimat [12]!

 

Im April 1897 verstarb der kränkliche Großherzog Friedrich Franz III. an seinem Dauer-Kurort Cannes an der französischen Riviera.  Bereits am Tag danach wurde Herzog Johann Albrecht für 4 Jahre - bis zur Vollmündigkeit seines Neffen, des Erbgroßherzogs - zum Regenten für das Großherzogtum Mecklenburg/Schwerin berufen. Zu seiner Tätigkeit als Präsident der Deutschen Kolonialgesellschaft und seiner Funktion als Bauherr des Schlosses Wiligrad erweiterter sich nun sein Aufgabenfeld beträchtlich! Trotz einer offenen Kritik seitens der Schweriner Regierung übte Herzog Johann Albrecht sein Präsidentenamt weiterhin aus – er hatte zu große Freude an seiner kolonialpolitischen Tätigkeit [13]!

 

Schon kurz nach der kompletten Fertigstellung des Schlosses Wiligrad und seiner Nebengebäude im Jahr 1898 erhielt der „Herzog-Regent“ auf Wiligrad zuweilen Besuch von ausländischen Würdenträgern, ranghohen Kolonialbeamten oder Künstlern - auch der Architekt Ludwig Winter (Stadt- und Kirchenbaumeister in Braunschweig) war darunter, zu dem der Herzog in späteren Jahren ein freundschaftliches Verhältnis pflegte!

 

 

 

 

 

[1] Kasten, Bernd und Autorenkollektiv: Die Großherzöge von Mecklenburg-Schwerin, Kapitel „Johann Albrecht – Regent und Politiker“ (S. 116); Hinstorff-Verlag, Rostock 2015

 

[2] Bröcker, Ulrike; Die Potsdamer Vorstädte 1861 - 1900; Von der Turmvilla zum Mietwohnhaus  (S. 168 u. 276); Wernersche Verlagsgesellschaft mbH, Worms 2004

 

[3] Nieske, Christian; „…habe ich mir einen bedeutenden , festen Kundenkreis erworben“, Der Weg einer Mecklenburger Handwerkerfamilie in den Jahren 1790 bis 1950 (S. 196); Thomas-Helms-Verlag, Schwerin 2012

 

 [4]  wie [1], S. 124

 

[5]  wie [1], S. 118

 

[6]  wie [1], S. 123 

 

[7] „Jahrbuch über die deutschen Kolonien”, Hrg. von Dr. Karl Schneider, 1. Jg., Essen, G. D. Baedecker. 1908

 

[8] wie 3

 

[9] wie 3 (S. 196)

 

[10] Quelle nicht genau bekannt, da auf dem echten (aber sehr alten) „Zeitschriften-Ausriss“ der Quellennachweis fehlt!

 

[11] wie [3]

 

[12] wie [3]

 

[13] wie [1], S. 120

 

Abbildungsnachweis

 

Bild 1, Mietvilla der Familie des Herzogs Johann Albrecht zu Mecklenburg in Potsdam am Heiligen See, Villenviertel Berliner Vorstadt Foto: Joachim Müller, Schwerin; im Febr. 2017

 

Bild 2, Blick aus der Nähe des ehemaligen Bootssteges vom Herzogs Johann Albrecht über den Heiligen See in Potsdam Foto: Joachim Müller, Schwerin; im Febr. 2017

2. Das Schlossareal (Kurzbeschreibung)

 

Den Herrensitz "Schloss Wiligrad" ließ der einflussreiche Berufspolitiker "Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg" von 1895 bis 1898 in seiner Heimat errichten, nachdem er im Januar 1895 zum Präsidenten der „Deutschen Kolonialgesellschaft" gewählt worden war. 

 

Das Schloss Wiligrad liegt am Schweriner Außensee, oberhalb des westlichen Steilufers - inmitten eines englischen Landschaftsparks, der nochmals von einem großen Laubwald umgeben ist. Der Landschaftspark wurde über mehrere Jahre hinweg - bis Ende 2014 - vom Land Mecklenburg-Vorpommern in seine ursprüngliche Grundstruktur von 1903 zurückgesetzt. Dies war möglich, weil die Europäische Union entsprechende Fördermittel zur Verfügung gestellt hatte.

Die Wege im Landschaftspark und im weiten Schlossareal sind gut begehbar. Nur zum Erreichen des Seeufers - in seiner ganzen, wieder hergestellten Idylle - müssen die Besucher einige Treppenläufe überwinden.

 

Die gesamte Schlossanlage besteht aus mehreren Gebäuden (überwiegend im Stil der Neo-Renaissance incl. eines entsprechenden Fachwerk-Renaissance-Hauses).

 

Beim Schloss Wiligrad handelt es sich um KEINE Gutsanlage.

 

Es gibt hier weder einen Gutshof noch Scheunen oder Rinder- bzw. Schweineställe.

 

Freilich wurde ein großer Marstall (Pferdestall mit Reithalle) angelegt und dazu das benachbarte Wagenhaus. Man findet auf Wiligrad auch einen großen Nutzgarten mit dem eher schlichten Backsteingebäude der Gärtnerfamilie. Selbst einen stattlichen Hühnerstall ließ der Bauherr am Rande des Schlossareals errichten.

 

Die verheiratete Dienerschaft wohnte in einem extra für sie bestimmten „Bediensteten-Haus“ (Backsteinbau mit großzügiger Fenstergestaltung) an einem Nebenweg des Schlossareals. Nicht weit davon entfernt befindet sich – am gleichen Weg – ein attraktives Gebäude mit bauzeitlich hochmodernen Fachwerkflair, das zu Lebzeiten des Herzogs Johann Albrecht höheren Beamten seines Hofstaates als Wohnhaus diente (deutschlandweiter Begriff: „Kavaliershaus“; in Wiligrad „Waldhaus“ genannt).

Dieses Gebäude wurde zuweilen auch für die Beherbergung von Besuchern genutzt, die mit der Familie des Herzogs nicht verwandt waren (z.B. Senatoren der „Freien und Hansestadt Hamburg“).

 

Zur Schlossanlage Wiligrad gehört sogar ein Heiz- und Maschinenhaus, das mit seinem 25 m hohen – inzwischen abgerissenen - Schornstein nur ca. 70 m vom Schloss entfernt liegt. Dort wurde mittels Hochdruck-Dampfkessel die Beheizung der herrschaftlichen Schlossräume über einen unterirdischen Kanal abgesichert - außerdem mit Dampfmaschine und Generator nebst Akkumulatoren-Anlage der Gleichstrom zur Schlossbeleuchtung bereitgestellt. Eine andere Dampfmaschine und nachgeschaltete Transmissionen dienten im gleichen Gebäude zum Antrieb der hochmodernen Wäschereianlagen - dies alles noch vor dem Jahr 1900!

 

3.     Die Baustruktur und Architektur des Schlossgebäudes

3.0    Grundsatzerklärung zum geringfügigen Bezug auf einen Wikipedia-Artikel

 

Die folgende Baustruktur- und Architektur-Beschreibung bezieht sich zu einem geringen Teil auf den Artikel „Schloss Wiligrad“ aus der freien Enzyklopädie Wikipedia in der Fassung vom 31.12.2016. Diese steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported.

Die meisten der übernommenen Textstellen und alle übernommenen Abbildungen  wurden zuvor von Joachim Müller, Schwerin  selbst bei Wikipedia eingestellt.

In der Wikipedia ist eine Liste sämtlicher Autoren verfügbar, die am Wikipedia-Artikel „Schloss Wiligrad“ mitgearbeitet haben.                   

 

 

3.1   Schlossansichten

 

Bild 1) Schloss Wiligrad am Schweriner Außensee, Zweiflügelanlage  im Stil der Neo-Renaissance mit einem Treppenturm im weit gespreizten Hofwinkel, Unterteilung in Herrschaftsflügel und Wirtschaftsflügel, erbaut 1896/98; Architekt: Albrecht Haupt (Hannover)

 

Bild 2) Schloss Wiligrad am Schweriner Außensee, Blick aus dem südlichen Schlosspark; Herrschaftsflügel (rechts) im Stil der Mecklenburgischen Terrakotta-Renaissance ("Johann-Albrecht-Terrakotta-Stil"); Architekt: Albrecht Haupt (Hannover)

 

Bild 3) Schloss Wiligrad am Schweriner Außensee, Wirtschaftsflügel (links) im Stil der Neo-Backstein-Renaissance (nach Albrecht Haupt: "Backstein-Rohbau-Weise"), ursprünglich nur im nördlichen Deutschland gebräuchlich; Architekt des Schlosses: Albrecht Haupt (Hannover)

 

3.2   Die äußere Baustruktur des Schlosses 

 

Die Gestaltung des Schlosses und der meisten Nebengebäude wurde vom hannoverschen Architekten bzw. Architektur-Historiker Albrecht Haupt - einen ausgewiesenen Fachmann für Bauten der Deutschen Renaissance - vorgenommen.

 

Der Bauherr - Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg - hatte bereits im Vorfeld Anregungen von aktuellen, historistischen Schloss-, Villen- bzw. Landhaus-Bauten aus dem Hochadel und der Hochfinanz des Wilhelminischen Kaiserreiches gesammelt und für seine Belange ausgewertet! Bei der Planung ging der Architekt Albrecht Haupt umfassend auf die Wünsche des Bauherrn ein.

 

Der Hauptflügel des Schlosses entspricht in seiner Fassadengestaltung dem Johann-Albrecht-Terrakotta-Stil, der  "Mecklenburgischen Terrakotta-Renaissance".

 

Am Seiten- bzw. Wirtschaftsflügel des Schlosses und an den meisten Wirtschaftsgebäuden auf dem Schlossareal kam die ehemals zeitgleiche und räumlich benachbarte, stadtbürgerlich-norddeutsche Backstein-Renaissance (als Neo-Stil) zum Einsatz!

 

 

Anmerkung: Der hannoversche Architekt Albrecht Haupt hatte von 1892 – 1894 das kurz zuvor abgebrannte Landschloss Basedow (Ost-Mecklenburg) im Gewand des Johann-Albrecht-Terrakotta-Stils wieder aufgebaut. Dabei erfolgte an den Fassaden eine weitgehende Verdrängung des vorherigen, neo-gotischen Tudor-Stils, der vom preußischen Architekten August Stüler aus den 1840er Jahren stammte.

 

 

 

 

3.2.1    Zweiflügelanlage mit einem Treppenturm im Hofwinkel  - angeregt durch kleine Schlösser im Weserbergland bzw. in Westfalen und in Hessen

 

 

Im Prinzip handelt es sich beim Schloss Wiligrad um eine Zweiflügelanlage mit einem Treppenturm im weit gespreizten Hofwinkel. Ähnliche Anlagen - allerdings mit einem Hofwinkel von 90 ° - wurden während der Renaissance-Zeit in Deutschland (Weserbergland, Westfalen, Hessen) recht häufig errichtet,  z. B. Schloss Buchenau bei Fulda in Hessen. 

 

Bei manchem dieser alten Renaissance-Schlösser diente der Treppenturm im Hofwinkel zum Ausgleich der unterschiedlichen Geschosshöhen zwischen den Flügeln, indem die im Turm befindliche Wendeltreppe auf die beidseitig unterschiedlichen Zugangshöhen ausgerichtet worden war.

Dieses Erschließungsprinzip unterschiedlich hoch gelegener Etagen-Zutrittshöhen durch eine gemeinsame Wendeltreppe wurde vom Architekten Albrecht Haupt auch auf Schloss Wiligrad realisiert!

 

 

 

Bild 4) „Schloss Buchenau“ bei Fulda, Zweiflügelanlage mit Treppenturm im Hofwinkel, aus der Renaissance-Zeit stammend, erbaut um 1615; Aufnahme: „Schenk“ (Wikipedia); Schloss Buchenau 

 

 

3.2.2    Flügelspreizung von 135° - nachempfunden dem kaiserlichen Witwensitz „Schloss   Friedrichshof“ in Hessen, erbaut 1890/93

 

Die 135°-Spreizung des Schlosses Wiligrad kommt im „flachen Gelände“ an einer Zweiflügelanlage in Deutschland sehr selten vor (nur aus der Zeit des Historismus, etwa zwischen 1870 und 1900). Das kaiserliche Schloss Friedrichshof in Kronberg/Taunus (Witwensitz von Victoria Kaiserin Friedrich, erbaut 1890/93 vom kaiserlichen Hofarchitekten Ernst Ihne) ist wohl das bekannteste Beispiel für einen Herrensitz mit dieser ungewöhnlichen Flügelspreizung (Siehe Bild 5a).              

 

Bild 5a) Schloss Friedrichshof in Kronberg/Taunus, Grundriss Erdgeschoss; mit einer Flügelspreizung von 135°, Unterteilung in Herrschaftsflügel und Wirtschaftsflügel; Architekt: Ernst Ihne, Berlin

 

Bild 5b) Schloss Wiligrad, Grundriss Erdgeschoss; mit einer Flügelspreizung von 135°, Unterteilung in Herrschaftsflügel und Wirtschaftsflügel; Architekt: Albrecht Haupt (Hannover)

 

Auch das nach 1870 erbaute, preußische Finanzadel- bzw. Diplomaten-Landschloss „Neu Potsdam“ in Rauisch-Holzhausen/Hessen (bei Wetzlar) verfügt im Haupttrakt über eine derartige 135°-Flügelspreizung. 

Eine diesbezügliche Anregung für Schloss Wiligrad - zumindest im Umweg über Schloss Friedrichshof - kann angenommen werden, zumal der kaiserliche Hofarchitekt Ernst Ihne vor der Planung des Schlosses Friedrichshof auch das Landschloss Neu-Potsdam besichtigt hatte!

 

 

 

Bild 6 a) Schloss Friedrichshof in Kronberg/Taunus; unterschiedliche Architekturstile an Herrschaft- und Wirtschaftsflügel (an den Obergeschossen und den  Querhäusern), Spreizung von 135° zwischen Herrschaftsflügel und Wirtschaftsflügel; Witwensitz von Victoria Kaiserin Friedrich, erbaut 1890/93; Architekt  Ernst Ihne Berlin, Hofarchitekt des deutschen Kaisers    

Aufnahme: Helmut Girold, Kronberg (Wikipedia); Schloss Friedrichshof

 

SIEHE "SCHLOSS FRIEDRICHSHOF" UNTER WIKIPEDIA!

 

 

3.2.3    Unterteilung des Gesamtbauwerks in Herrschaftsflügel und Wirtschaftsflügel - gemäß einer  bevorzugten Bauweise moderner, englischer Landhäuser und Herrensitze ab der Mitte des 19. Jhd.

 

Hinsichtlich seiner Baustruktur hat der Herzog das Schloss nach den damals (ab ca. 1860) bevorzugten, modernen Bauprinzipien englischer Landhäuser und kleinerer Herrensitze errichten lassen, bei denen eine strikte Trennung in Wohn- und Wirtschaftstrakt bzw. Herrschaftsflügel und Wirtschaftsflügel erfolgte.

 

Anmerkung:

Im Jahr 1904 erschien ein Sachbuch in deutscher Sprache, das sich intensiv mit der Geschichte und dem Bau- sowie Nutzungsprinzip englischer Landhäuser und Herrensitze zwischen dem Mittelalter und der Jahrhundertwende 1899/1900 befasste.

Hermann Muthesius; Das englische Haus, 3 Bände; Ernst-Wasmuth-Verlag, Berlin 1904

In den Bänden 1 (Teil II, B) und 2 (Teil II, A) geht Muthesius im Detail auf die Trennung von Wohn- und Wirtschaftstrakt bzw. Herrschafts- und Wirtschaftsflügel beim damals modernen, englischen Landhaus/Herrensitz ein. 

Alle 3 Bände wurden von der Bauhaus-Universität Weimar in den letzten Jahren als frei zugängliche PDF-Datei ins Internet gestellt. Inzwischen sind auch Alle 3 Bände als Nachdruck zu erwerben (Gesamtpreis: 105 €)!

 

 

Ein beeindruckendes Vorbild dürften Herzog Johann Albrecht und sein Architekt auch für dieses maßgebliche Gestaltungsmerkmal im kaiserlichen Schloss Friedrichshof in Kronberg/Taunus  gefunden haben. Beim  Palais Mendelssohn (Landhaus des Bankiers Franz von Mendelssohn) in Berlin-Grunewald (erbaut 1894/96) ist diese Flügel-Einteilung gleichfalls vorhanden. Architekt beider Großvillen war der kaiserliche Hofarchitekt Ernst Ihne aus Berlin.

 

Anmerkungen:

Der 1852 geborene Architekt des Schlosses Wiligrad - Albrecht Haupt - hatte von 1878/80  in verantwortlicher Position im Architektur-Büro des  hannoverschen „Neu-Gothikers“ Edwin Oppler gearbeitet (fachliche Leitung der Renaissance-Abteilung bis zu E. Opplers frühen Tod im Jahr 1880).

Dort erhielt Albrecht Haupt Kenntnisse über richtungsweisende Entwürfe von Edwin Oppler, die  (neogotische) Villen mit der Baustruktur englischer Landhäuser bzw. Herrensitze betrafen. Diese Gebäude waren in einen herrschaftlichen Bereich mit der zentral gelegenen Halle und in einen separaten, dazu angrenzenden Wirtschafts- bzw. Küchentrakt unterteilt (z. B. die deutschlandweit Maßstäbe setzende „Villa Cahn" des Privat-Bankiers Cahn in Bonn am Rhein, erbaut 1868/70). [Brömmer, W; Die Villa Cahn; Köln 1991; Siehe Anlage 2 dieser Webseite]

Auf dieses Basiswissen konnte der Architekt Albrecht Haupt bei der baustrukturmäßigen  Gestaltung des Schlosses Wiligrad zurückgreifen und dieses mit seinen Recherche-Erkenntnissen zum Schloss Friedrichshof und zum Landhaus Mendelssohn vereinigen!

 

 

 

Diverse Analogien zwischen den drei hochrepräsentativen Bauwerken legen die Vermutung nahe, dass Ernst Ihne dem Herzog weitere Anregungen zur Gestaltung des Schlosses Wiligrad vermittelt hat.

Wie in England gemeinhin üblich, wurden auf Schloss Wiligrad die Gästezimmer NICHT im Herrschaftsflügel untergebracht, sondern außerhalb desselben. Herzog Johann Albrecht ließ diese Unterkünfte im Obergeschoss des Wirtschaftsflügels anordnen - die Zimmer bzw. Appartements für die "würdigsten" Gäste auf der sonnigen Parkseite! Im Erdgeschoss bzw. Tiefparterre darunter befanden sich die Schlossküche und Räume der Schlossverwaltung. Beim großbürgerlichen Palais Mendelssohn - entworfen von Ernst Ihne - bestand im Wirtschaftsflügel eine ähnliche Raumstruktur!

Die Hofdame des herzoglichen Paares erhielt ihr Appartement auch nicht im Herrschaftsflügel, sondern musste sich mit dem Dachgeschoss des Wirtschaftsflügels "begnügen" - immerhin auf der sonnigen Parkseite!

Außerdem wurde der Hofdamen-Wohnung noch ein repräsentativer Balkon vorgesetzt, wodurch parkseitige Betrachter  des Schlossbauwerkes erkennen konnten, dass im Dachgeschoss des Wirtschaftsflügels eine "hochstehende Person" lebte (Siehe Bild 12). Zum Gewährleisten einer "standesgemäßen" Deckenhöhe für die Wohnung der Hofdame ließ der Herzog in diesem Gebäudesegment sogar noch den Dachstuhl "anheben" - verdeutlicht durch die flache Dachneigung gegenüber dem sonstigen Dachbereich des Wirtschaftsflügels !

Ein vergleichbar hoher, baulicher Aufwand beim Einrichten von  "Dauerwohnungen"  hochherrschaftlicher Personen im Wirtschaftsflügel war auch in England üblich!

 

 

 

 

Bild 6 b) Landhaus des Bankiers Franz von Mendelssohn (Palais Mendelssohn) in Berlin-Grunewald, Treppenturm im Hofwinkel, unterschiedliche Architekturstile zwischen Herrschafts- und Wirtschaftsflügel an den Obergeschossen, den Querhäusern  und im Giebelbereich; erbaut 1894/96; Architekt:  Ernst Ihne Berlin, Hofarchitekt des deutschen Kaisers     

Aufnahme: Egon Hessling, um 1900

 

SIEHE "LANDHAUS MENDELSSOHN" UNTER WIKIPEDIA!

 

oder in der ANLAGE zu dieser Web-Seite unter: Landhaus Mendelssohn mit Grundriss

 

 

3.3.    Die Fassadengestaltung des Schlosses

 

3.3.1     Unterschiedliche Architekturstile zwischen Herrschaftsflügel und Wirtschaftsflügel

 

Eines der Merkmale englischer Herrensitze ist die aufwendige Fassadengestaltung für den Herrschaftsflügel und eine viel schlichtere Fassadengestaltung für den Wirtschaftsflügel. Dieser Unterschied konnte sich - besonders bei "nachempfundenen", englischen Herrensitzen in Deutschland - bis zur Anwendung unterschiedlicher Architekturstile steigern (z. B. Schloss Friedrichshof in Kronberg/Taunus, Landhaus Mendelssohn in Berlin-Grunewald). 

Beim Schloss Wiligrad kamen folgende Architekturstile zur Anwendung:

 

Terrakotta-Stil am Herrschaftsflügel: Mecklenburgischer Terrakotta-Stil, auch als Johann-Albrecht-Terrakotta-Stil bezeichnet – nur in Mecklenburg und nur an den herzoglichen Schlössern bzw. Herrenhäusern der herzoglichen Berater im Gebrauch, zwischen 1550 und 1575; siehe das beigefügte Beispiel einer recht schlichten Terrakotta-Ausstattung am Schloss Gadebusch (Bild 7), Baubeginn ca. 1570.

 

Backsteinrohbau-Stil am Wirtschaftsflügel, d.h. Backstein-Renaissance an stadtbürgerlichen Repräsentationsbauten (Rathäuser, Handelshäuser vermögender Ratsherren), in ganz Norddeutschland in Gebrauch, zwischen Husum und Stralsund bzw. Flensburg und Salzwedel/Altmark, besonders eindrucksvoll in Lüneburg und Lübeck;  siehe beigefügtes Beispiel (Bild 8) „Altstädtisches Rathaus Salzwedel“, Baubeginn ca. 1510.

 

 

 

Bild 7) Mecklenburgischer Johann-Albrecht-Terrakotta-Stil der norddeutschen Renaissance am baulich bescheidenen Schloss Gadebusch, mit markanter Fassadengliederung, jedoch ohne den renaissancetypischen Querhäusern; Aufnahme: Horst Schlaemma (Wikipedia), Schloss Gadebusch 

 

 

 

Bild 8) Stadtbürgerlich-repräsentativer Backsteinrohbau-Stil der norddeutschen Renaissance am "Altstädtischen Rathaus" der Hansestadt Salzwedel, Dachbereiche mit Querhäusern versehen - alle Giebel als gotische Treppengiebel ausgeführt; Aufnahme: Björn Gäde (Wikipedia); Salzwedel, Altstädtisches Rathaus 

 

  

3.3.2    Allgemeine Merkmale der Renaissance-Architektur an beiden Flügeln des Schlosses

 

Fast das gesamte Schlossareal wurde im hochrepräsentativen Stil der (Neo)-Renaissance errichtet; dieser Stilkomplex stammte aus einer Zeit, in der die Herzöge im Lande Mecklenburg noch das „Sagen“ hatten (1500 – 1650), bevor die Ritterschaft zu ihrer gewaltigen Machtfülle gekommen war.

 

Grundsätzliche Merkmale der Renaissance-Architektur, wie sie auf Schloss Wiligrad – zum Teil an beiden Schlossflügeln – realisiert worden sind:  

 

  • Querhäuser im Dachbereich (auch Zwerchhäuser genannt), entgegen dem Hauptverlauf der Sattel-Dachfläche ausgerichtet

   

  • Strukturierung der Fassaden durch markante, waagerechte „Streifen“ (d. h. Friese und Gesims-Bänder, als Nachahmung quer über die Wand verlaufender Gebälkstrukturen oder zum Darstellen einer klaren Geschosstrennung)

  

  • Strukturierung der Fassaden durch markante, senkrechte „Streifen“ (d. h. Lisenen ohne und Pilaster mit Fuß- bzw. Kopfteil, als eine gewisse Nachahmung vertikaler Säulenanordnungen vor der Bauwerksfassade)

  

  • Anordnung von markanten „Streifen“ an den Gebäudekanten (Eck-Lisenen), um diese besonders hervorzuheben

  

  • Besonders aufwendige Giebelgestaltung bzw. -verzierung sowohl am „Terrakottaflügel“ als auch am „Backsteinflügel“ des Schlosses, jedoch wird am Terrakotta-Flügel auch dessen äußere Form aufwendig mit Rundbögen nebst Fächerrosetten und Steinfiguren gestaltet, wohingegen am Backstein-Flügel die sehr einfache Treppengiebel- bzw. Staffelgiebel-Form der Gotik fortbesteht.

 

Ein wichtiges Merkmal der deutschen oder nordischen Renaissance gegenüber der italienischen bzw. französischen Renaissance aus der Zeit von 1500 bis 1650 war die Wahl von asymmetrischen Grundrissen und Fassaden. Auch Schloss Wiligrad wurde als Bauwerk der deutschen (Neo-)Renaissance im Grundriss und in den Fassaden komplett asymmetrisch errichtet. 

3.3.3   Zusatz- bzw. Detailinformationen zum  mecklenburgischen  Johann-Albrecht-Terrakotta-Stil am Herrschaftsflügel des Schlosses Wiligrad

 

Herzog „Johann Albrecht zu Mecklenburg“ hat sich  in der ersten Hälfte der 1890-iger Jahre bezüglich der Gestaltung der Außenfassaden des Herrschaftsflügels seines modernen Schlosses zu einem Baustil entschieden, der von seinem Namensgebers und politisch erfolgreichen, mecklenburgischen Renaissance-Herzog „Johann Albrecht I.“ (1525 - 1576) her stammte, dessen Regierungszeit von 1547 - 1576 reichte.

Die Anwendung  dieses ungewöhnlichen, fürstlichen Architekturstils war eine nachvollziehbare Entscheidung des Herzogs, der als frisch gewählter Präsident der Deutschen Kolonialgesellschaft (1895) nach hoher politischer und gesellschaftlicher Anerkennung im Wilhelminischen Kaiserreich strebte.

 

Der Johann-Albrecht-Terrakotta-Stil stellt im Wesentlichen eine „Blendarchitektur“ (von „vorblenden“) zur Aufgliederung von Gebäudeflächen nach Renaissance-Manier dar, wobei auf hell verputzten Flächen Terrakottaplatten und Formsteine zur Strukturierung von Giebel- und Traufseiten des jeweiligen Bauwerkes eingesetzt werden.

 

Damit dieser Terrakotta-Zierrat so richtig zur Wirkung kommt, sind die Gebäude des Johann-Albrecht-Stils im Dachbereich  zuweilen mit „Welschen Giebeln“ bzw. mit Querhäusern („Zwerchhäusern“) versehen, wodurch auf den Dächern eine stattliche „Dachlandschaft“ entsteht, die jedem Besucher den Machtanspruch des Schlossherren verdeutlicht [1]  (besonders klar am Schloss Schwerin und am Landschloss Basedow zu erkennen).

 

  

Der Johann-Albrecht-Stil umfasst vom Grundsatz her

 

 -      dekorative Flächenfüllungen aus Terrakottaplatten und Formsteinen im häufig rundbogig abschließenden Giebelbereich (Bild 7,  9, 10)

 

 -       senkrechte Terrakottastreifen (Lisenen, d.h. ohne „Fuß- u. Kopfteil“) als eine gewisse Nachahmung von vertikalen Säulenanordnungen vor der Bauwerksfassade (Bild 7)

 

 -       Lisenen mit „Fuß- und/oder mit Kopfteil“ (Bild 7, 9, 10)

 

 -       waagerechte Terrakottastreifen, d.h. Fries- und  Gesims-Bänder als Nachahmung von quer über die Wand laufenden Gebälkstrukturen bzw. zum Darstellen einer klaren Geschosstrennung (Bild 7, 9, 10)

 

-       Terrakottastreifen an den Gebäudekanten (Ecklisenen), um diese besonders hervor zu heben (Bild 10)

 

-       Terrakottaverblendungen für Fenster-Laibungen und -Gewände (9, 10)

 

-       Terrakottaverblendungen für Portale (Bild 1, 7)

 

-       Säulen- oder Bogenelemente als Bestandteil der Terrakotta-Blendarchitektur (Bild 10 -  am äußersten, rechten Balkon und im oberen Giebelbereich der Zwerchhäuser)

 

-       Porträt-Medaillons, separat auf den geputzten Flächen oder mit Umrahmung durch andere Terrakottaplatten angebracht (Bild 1 u. Bild 10, hier am Balkon in Bildmitte)

 

-       Terrakotta-Figurenschmuck (Obelisken, Urnen, Laternen, menschliche Statuen, u.s.w.) welcher zur Bekrönung von Giebelecken und Giebelspitzen oder als Aufsatz für Portalgesimse dient (Bild 2,10)

 

-       sowie aus Formsteinen (Material: Backstein) gemauerte, kleine Aufsätze für Giebel und Schornsteine (Bild 2, 10)

 

 

 

Bild 9) Mecklenburgischer Johann-Albrecht-Terrakotta-Stil am Herrschaftsflügel des Schlosses Wiligrad, Ostseite;

links oben im Obergeschoss: großes, "spielerisch" gestaltetes Wappenkonstrukt - ähnlich einem Allianzwappen zwischen Mecklenburg u. Sachsen-Weimar (Außenwand vom Schlafzimmerwand des herzoglichen Paares)

 

 

Bild 10) Mecklenburgischer Johann-Albrecht-Terrakotta-Stil am Herrschaftsflügel des Schlosses Wiligrad, Blick vom Schlosspark her - aus südwestlicher Richtung

 

 Terrakottaplatten, Formsteine, Medaillons und Figuren wurden bereits seit der Antike aus speziellen Tonsorten hergestellt. Die Tonzusammensetzung bestimmt die Farbe der gebrannten Massegüter. Das Herstellen von Terrakotta-Platten für Gebäudefassaden erfolgte in Schwerin/Mecklenburg ab der Mitte des 19. Jhd. durch handwerkliche bzw. manufakturmäßige Modellabformungen  von Flachornamenten in Klein- und  Mittelserien durch die „Großherzoglichen Kunstziegelei“ auf dem "Kläterberg" (Höhenrücken zwischen Ziegel-Innensee und Aubach) - vor dem Wismarschen Tor.

 

In Schwerin wurden im späten 19. Jhd. folglich auch einige Stadthäuser errichtet, an denen man noch heute dieselben Terrakotta-Platten als Fassadenverblendung vorfindet, wie am Schloss Wiligrad. 

 

Die Terrakotten des Johann-Albrecht-Stils wurden bei Temperaturen von 900° - 1000° C gebrannt, waren nicht glasiert, weisen eine gute Haltbarkeit auf, sind wasserfest und widerstandsfähig gegen Frost [2].

 

 Zur Renaissance-Zeit bezog man die zwischen 1550 und ca. 1575 an mecklenburgischen Schlössern verbauten Terrakotta-Elemente aus der Werkstatt des Statius von Düren aus Lübeck.

 

 Die Motive auf den gebrannten Tonplatten konnte man schon zu dieser Zeit - frei nach dem Geschmack des Bauherrn oder Architekten - aus Katalogen auswählen und in der Terrakotta-Werkstatt zur Ausführung bestellen.

 

 Diese Kataloge waren zwischen den Niederlanden und Mecklenburg in Fachkreisen weit verbreitet.   

 

Die Terrakotta-Platten am Schloss Wiligrad zeigen zum großen Teil Früchte, Fruchtschnüre, Blatt- und Rankenornamente sowie Masken und historische Herrscherprofile (ohne Bezug zu geschichtlichen Persönlichkeiten aus der mecklenburgischen Herrscher-Dynastie), vereinzelt auch das Motiv „Putte -  auf  Delphin reitend“.

 

In die Bildfriese (Bildzeilen)  an den repräsentativen Querhausgiebeln wurden Terrakotta-Platten mit dem Abbild eines (thüringischen) Löwen oder eines (mecklenburgischen) Greif eingebunden. Auch das in Terrakotta-Material ausgeführte Wappen-Konstrukt an der Außenwand des ehelichen Schlafzimmers (Seeseite, Obergeschoss, neben dem runden Eckturm) wird von einem Bilderpaar bekrönt, das links den mecklenburgischen Greif (Symbol des Herzogs) und rechts den thüringischen Löwen (Symbol der Herzogin, Prinzessin von Sachsen-Weimar-Eisenach) zeigt (Siehe Bild 9)!

 

 An der Umrandung des stattlichen Drillingsfensters vom „Kleinen Kabinett“ auf der Hofseite des Herrschaftsflügels findet man malerisch dargestellte Halbmenschen und Fabelwesen, wobei diese Figuren aus mehreren, horizontal oder vertikal angeordneten Terrakotta-Platten zusammengesetzt sind.  

 

Auf den großen Terrakotta-Metallions am Wirtschaftsflügel des Schlosses (Hofseite)  sind Herzog Johann Albrecht, seine erste Ehefrau Elisabeth von Sachsen-Weimar und enge Verwandten der herzoglichen Familie dargestellt.

  

 

 

3.3.4    Zusatz- bzw. Detailinformationen zum  Baustil der norddeutschen Backsteinrenaissance am Wirtschaftsflügel des Schlosses Wiligrad

 

 Der Architekt Albrecht Haupt wählte mit Bedacht als Architekturstil für den Wirtschaftsflügel des Schlosses Wiligrad - aber auch für das Heiz- u. Maschinenhaus sowie für den Marstall und das Wagenhaus - eine norddeutsche „Backstein-Rohbauweise“ aus, wie sie - parallel zur zeitlich und räumlich eng begrenzten Anwendung des mecklenburgische Johann-Albrecht-Terrakotta-Stils (in der Region Schwerin-Wismar) - in weiten Bereichen Norddeutschlands üblich war.

  

Einen guten Vergleich zwischen der Neo-„Backsteinrenaissance“ des Wirtschaftsflügels vom Wiligrader Schloss (Siehe Bild 11) und der ursprünglichen Backsteinrenaissance ermöglicht das „Altstädtische Rathaus“ der  Hansestadt Salzwedel in der Altmark (Siehe Bild 8)

  

Die meisten Anregungen für die Backstein-Fassadengestaltung des Schlossareals Wiligrad, wie sie der Architekt Albrecht Haupt übernommen hat, stammen allerdings aus der alten und reichen Hansestadt Lüneburg. Auch heute sind die entsprechenden Vorbilder dort noch zu finden. Zur schnellen Information kann man diese bei Wikipedia unter „Hansestadt Lüneburg“  - zwischen zahlreichen Fotoaufnahmen anderer, historischer Stadthäuser - betrachten (Commons: Lüneburg – Sammlung von Bildern > Architecture of Lüneburg > Buildings in Lüneburg > Houses in Lüneburg)! Albrecht Haupt hat sie unter [3] zeichnerisch festgehalten!

 

 

 Bild 11) Schloss Wiligrad, Wirtschaftsflügel, Hofseite

 

Bild 12) Schloss Wiligrad, Wirtschaftsflügel, Parkseite

 

 

 

Bild 13) Schloss Wiligrad, Blick auf den Giebel des Wirtschaftsflügels

 

 

 

Wie die obigen Abbildungen zeigen, sind beim Schloss Wiligrad die Gebäudefassaden aller drei frei liegenden Seiten des Wirtschaftsflügels backsteinsichtig ausgeführt.

 

Lediglich im Bereich des nordwestlichen Schlossgiebels (an der Zufahrt zum Schlosshof) und der renaissancetypischen Querhäuser auf der Hofseite sowie des Gebäudevorsprungs auf der Parkseite sind einige wenige, fensterförmige Blendbogen-Elemente hell verputzt (Siehe Bild 11, 12 u. 13).

 

Allein schon das Vorhandensein der Querhäuser auf der Hofseite lässt erkennen, dass es sich beim Wirtschaftsflügel um einen Gebäudeteil im Stil der (Neo)-Renaissance handelt!

 

 

 Hinweis:

 

Der Übergang zwischen der in Norddeutschland ehemals dominierenden Backsteingotik und der Backsteinrenaissance war fließend (etwa 1500 – 1550).

Allerdings bewahrte die Backsteinrenaissance weitgehend die Formensprache der Backsteingotik. So weist z. B. die im 16. Jahrhundert gestaltete Fassade des Kerkhoffhauses in Rostock die typischen gotischen Treppengiebel auf. [4]

 

Deshalb sind am Wirtschaftsflügel des Schlosses Wiligrad und an den anderen Wirtschaftsbauten dieses Architekturstils im Schlossareal - trotz der vorherrschenden Renaissancebauweise - alle Giebel in der Form gotischer Treppengiebel ausgeführt!

  

Ähnlich wie beim Johann-Albrecht-Terrakotta-Stil des Herrschaftsflügels gilt jedoch,

unter Bezugnahme auf diverse Hinweise aus [3]:

  

- Zum Aufzeigen einer - für die norddeutsche Renaissance typischen - klaren Geschosstrennung oder als „fiktives Dachgesims“ finden wir quer über die Wand verlaufende „steinerne Taue“, die zum Teil auch als Linienpaar waagerechte Mauerstreifen einrahmen und damit ein deutlich sichtbares Band im Mauerwerk bilden.

(Beim alten Rathauses Salzwedel sind diese „Trenn-Bänder“ hell verputzt.)

Die „Einzel-Taue“ sind aus Formsteinen gemauert, mit denen der Eindruck eines aus der Wand hervortretenden, halben Rundstabes erzielt wird. Diese Rundstäbe verfügen im Fall von Schloss Wiligrad noch über schräge Rippen (deshalb auch als „steinerne Taue“ bezeichnet).

   

- Die Querhäuser sind in ihrem „Sockelbereich“ (Traufhöhe des Satteldaches am Wirtschaftsflügel) „verschönert“, indem man zwischen einem oberen und einen unteren Rundstab Backstein-Ornamente (z. B. ein Fischgrätenmuster) eingefügt hat.

  

- Zum besseren Hervorheben der Gebäudekanten sind am Nordwest-Giebel über die Höhe des Obergeschosses und an allen Querhäusern über die eigentliche Nutzhöhe hinweg, Ecklisenen   (senkrechte, aus dem Umfeld hervortretende Streifen) in Backsteinausführung gesetzt. Während der Renaissancezeit waren diese Ecklisenen allerdings halbrund im Querschnitt ausgebildet und von der eigentlichen Gebäude-Ecke „eine Hand  breit“ entfernt!

 

 - Alle Fenster sind in Segmentbogenbauweise ausgeführt, wobei der Segmentbogenumfang etwa dem eines Drittelkreises entspricht.

   

- Die Gewände der Fenster und Türen werden von gerippten Viertelstäben („steinernen Tauen“) gebildet.

   

- Im Bereich der Querhäuser auf der Hofseite und im Dachbereich des Gebäudevorsprungs (Seitenrisalit)  auf der Parkseite sind die Segmentbogen-Fenster immer paarweise angeordnet. Dabei kommt in der Giebelspitze ein mittelgradig abgeändertes Baudetail zur Anwendung, wie es bereits beim Rostocker „Kerkhoffhaus“ (Backsteinrohbau um 1500) ausgeführt worden ist.

  

Dieses obere Fensterpaar sitzt innerhalb eines, beide Fenster überspannenden, repräsentativen Blendbogens (Siehe Bild 14 oben). Eine derartig ungewöhnliche Doppelfenster-Gestaltung ist auch an der südwestlichen Außenwand der Reithalle im Marstallkomplex 3-fach in einer Reihe vorzufinden. 

 

 

 

Bild 14) Schloss Wiligrad, Wirtschaftsflügel, markante Fensterflächenausbildung im Ober- und im Dachgeschoss

 

 

 

Das untere Fensterpaar befindet sich innerhalb einer doppelbögigen Blendarkaden-Fläche, die ihrerseits gegenüber der sonstigen Mauerwerksfassade um einen halben Stein zurück versetzt worden ist und damit einen besonders ansprechenden, plastischen Eindruck von der Querhaus-Giebelfläche vermittelt (Siehe Bild 14 unten). Für diese Bauausführung wurde kein vergleichbares Vorbild in der ursprünglichen Backsteinrenaissance-Architektur gefunden. Es handelt sich dabei wahrscheinlich um eine Bau-Idee aus der Zeit der Neo-Renaissance.

  

- Der Giebel und der parkseitige Gebäudevorsprung des Wirtschaftsflügels wurden im Bereich des Obergeschosses durch backsteinerne Rautenmuster geschmückt, wie sie auch schon zur Renaissancezeit an Backsteinbauten  in ähnlicher Form üblich gewesen sind.

   

Die obige Fassadenbeschreibung des Wirtschaftsflügels vom Schloss Wiligrad gilt grundsätzlich auch für die nachstehend benannten Wirtschaftsgebäude des Schlossareals, die im

 

„Neo-Stil“ der Backstein-Renaissance errichtet worden sind:

  

-           Heiz- u. Maschinenhaus (zur Wärme- u. Stromversorgung) des Schlosses

 

-           Marstallgebäude, dreiflügelig mit dem zugehörigen Wagenhaus (Wagenremise)

 

 

 

 3.4  Die innere Baustruktur des Herrschaftsflügels – Erschließung durch eine zweigeschossige Treppenhalle  

 

 

3.4.1 Das Prinzip des asymmetrischen Bauens von "innen nach außen"  

 

Nach diesem Prinzip sollen sich die Türen und Fenster in Zahl, Größe, Gestalt und Anordnung nach dem Innern, nach dem Bedürfnis des Bewohners, nach der Form und dem Zwecke der Zimmer und sonstigen Räumlichkeiten richten - so wie es im späten Mittelalter deutschlandweit schon in den Häusern des Stadtbürgertums und des Adels geschehen war [angelehnt an ein Zitat von REICHENSBERGER aus dem Jahr 1846 in Brönner, W; Die bürgerliche Villa in Deutschland 1830 - 1900, Worms 2009; S. 21]

Geradlinig, symmetrische Wohnhäuser wurden als unnatürlich empfunden. Für das „natürliche“ Familienleben wünschte man sich ein „maßgeschneidertes“ Gehäuse [angelehnt an ein Zitat  von RIEHL aus dem Jahr 1855 in BRÖNNER, W; Die bürgerliche Villa in Deutschland 1830 - 1900, Worms 2009; S. 20]

 

Als funktionalistische Forderung galt: Die äußere Erscheinung eines Hauses soll aus der notwendigen, inneren Struktur heraus entwickelt werden!

Damit verband sich auch die Idee der asymmetrisch, zweckentsprechenden Grundrissgestaltung und der daraus resultierenden freien Gruppierung der Baukörper. [BRÖNNER,W;  Die bürgerliche Villa in Deutschland 1830 - 1900; Worms 2009; S 169 u. 187]

 

 

Dieses - seit alters her besonders in England verbreitete - Gestaltungsprinzip wurde in einer allgemeinen Form von ca. 1865 - 1915 in Deutschland angewandt. Gern nutzten es die englandfreundlichen Vertreter der „Hannoverschen Schule“, zu deren maßgeblichen Repräsentanten auch Albrecht Haupts früherer Arbeitgeber - der Architekt Edwin Oppler - gehörte. 

 

 

Von diesem war für „englisch strukturierte“ Landhäuser bzw. Herrensitze in Deutschland ein sehr spezielles Kompositionsprinzip entworfen und umgesetzt worden, welches  den Wünschen nach einem „Bauen von innen nach außen“  in  asymmetrischer Raumanordnung (und darauf basierend mit einer asymmetrischen Fassadengestaltung) voll entsprach.

 

Danach ist die zentrale Halle der Ausgangspunkt der Planung. 

Alle Räume, bis auf diejenigen des Küchen- bzw. Wirtschaftsflügels, schließen an die Halle an und schieben sich von diesem Zentrum her nach außen, wobei sie sich je nach benötigter Größe ausdehnen können! So ergibt sich der lebendig bewegte Grundriss ganz von selbst.

[BRÖNNER, W; Die bürgerliche Villa in Deutschland 1830 – 1900, S. 169; Siehe Anlage 2]

 

  

  

Bild 15) Schloss Wiligrad, Herrschaftsflügel, Erdgeschoss-Grundriss; "O-förmige" Anordnung der Gesellschaftsräume, Wohnräume und der repräsentativen Arbeitsräume des Hausherrn um die zentrale Treppenhalle (zweigeschossige Empfangshalle) herum nach dem OPPLERschen Prinzip der asymmetrischen Grundriss-Gestaltung für "englisch geprägte" Villen und Herrensitze; Architekt: Albrecht Haupt (Hannover)

 

 

Anmerkung:

 

Albrecht Haupt hatte 1878 -  also 2 Jahre nach Abschluss seiner Universitätsausbildung - eine verantwortliche Tätigkeit im Büro des deutschlandweit hoch anerkannten Architekten Edwin Oppler in Hannover aufgenommen.

 

Wie die Abb. 15 zeigt, hat Albrecht Haupt das OPPLERsche Grundriss-Kompositionsprinzip - als guter "Schüler" seines ehemaligen "Lehrers" bzw. Arbeitgebers - im Herrschaftsflügel des Schlosses Wiligrad mit Erfolg angewandt!

 

 

In der Anlage 2 wird auf das Planungsprinzip und die fassadenmäßigen Auswirkungen des asymmetrischen „Bauens von innen nach außen“  näher eingegangen.

 

 

3.4.2  Das Erschließen durch eine zentrale, zweigeschossige Treppenhalle

 

Das Schloss Wiligrad (Architekt: Albrecht Haupt, Hannover) erhielt im Zentrum des Herrschaftsflügels eine zweigeschossige „Englische Halle“ mit einer - über zwei Hallenseiten hin - rechtwinklig verlaufenden Repräsentationstreppe und einer dreiseitig umlaufenden Galerie (Siehe den Erdgeschoss-Grundriss auf Bild  15 u.  den Obergeschoss-Grundriss auf Bild 16). Eine entsprechende Anregung vom Landhaus Mendelssohn in Berlin-Grunewald bzw. von dessen Architekten (kaiserlicher Hofarchitekt Ernst Ihne aus Berlin) kann angenommen werden.

 

Darüber hinaus gab es in anderen Villenvierteln von Berlin und anderen deutschen Residenz- bzw.  Handelsstädten seit etwa 1885/90 ähnlich aufgebaute Empfangs- oder Wohnhallen, die zentral im Gebäude angeordnet waren und über zwei Geschosse mit Repräsentationstreppe und Galerielauf im Obergeschoss verfügten.

 

Hinweis zum allgemeinen Gebäudeaufbau:

 

Der Herrschaftsflügel des Schlosses Wiligrad ist in seiner gesamten Ausdehnung mit einem Keller versehen, der sich - wegen der großen Deckenhöhe - als Tiefparterre darstellt und nach außen hin als Sockelgeschoss wirkt! Auf diesem Sockelgeschoss sitzt das Hochparterre-Stockwerk des Herrschaftsflügels. Der Einfachheit halber wird dieses Stockwerk im weiteren Text als Erdgeschoss bezeichnet. 

 

 

 

Bild 16) Schloss Wiligrad, Herrschaftsflügel, Grundriss Obergeschoss, U-förmige Anordnung der intimeren herzoglichen Wohnräume um die zentrale Treppenhalle herum, Zugang zu diesen Wohnräumen und den Sanitärbereichen ausschließlich über die 3-seitige Galerie; Architekt: Albrecht Haupt (Hannover)

 

 

Um die zweigeschossige Treppenhalle herum sind im Erdgeschoss alle anderen repräsentativen Räume des Hauses in U-Form positioniert (der dienstliche Arbeits- u. Repräsentationstrakt des Hausherrn im relativ dunklen Nordosten, die allgemeinen Gesellschaftsräume und  die kleineren Privaträume in eher sonniger Lage).

 

Wenn man es genau nimmt und die Räume des Eingangsbereiches mit berücksichtigt, so wird die Treppenhalle im Erdgeschoss von ihren Nachbarräumen sogar in O-Form umschlossen!

Das Treppenhallen-Obergeschoss (mit gleichfalls U-förmiger Anordnung der intimeren Wohnräume - wie Schlafzimmer, Ankleidezimmer, Sanitärräume - um die Halle herum) wird durch eine Galerie erschlossen, zu der vom Erdgeschoss aus die schon mehrfach benannte, stattliche Repräsentationstreppe nach oben führt.

Die jeweiligen Raumanordnungen im Erdgeschoss und im Obergeschoss werden auf den beigefügten Grundrissen im Detail dargestellt.

 

Erhellt wird die 12,5 m hohe Treppenhalle durch ein weitgespanntes Fensterband im Obergeschoss - auf der Nordseite des Raumes. Unterhalb dieses Fensterbandes liegen im Erdgeschoss (jenseits der breiten Treppenhallen-Zugangstür) die Eingangsräume des Herrschaftsflügels. Dort ist das Bauwerk nur eingeschossig hoch ausgeführt. Diese Eingangsräume tragen statt einer speziellen Dachkonstruktion  eine durchgehende Dachterrasse, die bei der Begrüßung von Gästen gern benutzt worden ist (Siehe Bild 17). 

 

 

 

Bild 17) Schloss Wiligrad, Querschnitt Herrschaftsflügel; Empfangshalle mit Repräsentationstreppe und Galerie sowie dem Fensterband und der vorgelagerten Dachterrasse; Architekt und ursprüngliche Bauzeichnung: Albrecht Haupt (Hannover)       

 

 

Die auf Bild 17 gezeigte Raum- bzw. Fenster-  und Terrassen-Anordnung stellt eine Standard-Lösung für den Einbau von zweigeschossigen Treppenhallen in hochherrschaftliche Villen und Landhäuser während der Wilhelminischen Kaiserzeit (nach 1895) dar.

 

 

Die Wiligrader Galerie befindet sich nicht innerhalb der Erdgeschoss-Grundfläche der Treppenhalle und wird nicht von Wandkonsolen abgestützt bzw. von Säulen getragen – wie bei anderen Villenbauten aus der Zeit des späten Historismus. Die Galerie wurde nach außen verlegt – d. h., sie verläuft auf den Deckenbalken der zur Halle benachbarten Erdgeschossräume und ist im Hallenquerschnitt als nach außen geführte Abstufung des Zentralraumes zu erkennen – ein Bild von Erhabenheit und Stabilität! Auf der beigefügten Schnittzeichnung durch den Herrschaftsflügel (Bild 17) ist das besonders gut zu erkennen.  

 

Anmerkung:

Im Jahr 1904 erschien ein Sachbuch in deutscher Sprache, das sich intensiv mit der Geschichte und dem Bau- sowie Nutzungsprinzip englischer Landhäuser und Herrensitze zwischen dem Mittelalter und der Jahrhundertwende 1899/1900 befasste.

Hermann Muthesius; Das englische Haus, 3 Bände; Ernst-Wasmuth-Verlag, Berlin 1904

Im Band 3 geht Muthesius auch auf den Einbau von eingeschossigen und zweigeschossigen Treppenhallen in modernen, englischen Landhäusern/Herrensitzen ein. Er vergleicht das Vorhandensein der zweigeschossigen Hallen in England und Deutschland für die Zeit um 1900 und weist auf die hohen, anteiligen Baukosten und Betriebs- bzw. Heizkosten hin. Nach seiner Auffassung sollten sich zweigeschossige Hallen nur Herrschaften leisten, die über ein recht hohes Vermögen verfügen, weil - sinngemäß - diese Hallen außer zum Anschauen für "Nichts" zu gebrauchen sind.

Für aufwendige Empfänge oder als kühler Zentralraum im Sommer dürfte die Wiligrader Treppenhalle aber gut zu nutzen gewesen sein. 

 

 

Bild 18) Schloss Wiligrad, Herrschaftsflügel, zweigeschossige Empfangshalle mit Repräsentationstreppe und dreiseitig umlaufender Galerie

Architekt: Albrecht Haupt (Hannover)

 

Aufnahme: Ilka Zander, Stralsund, 2005; Erlaubnis zum Veröffentlichen auf der Webseite www.herrensitz-wiligrad.de wurde am 03.06.2017 erteilt!

 

 

 

 

3.5    Die repräsentativen Innenräume des Herrschaftsflügels im Erdgeschoss  

 

3.5.1  Unterteilung der Räume in dienstlich, gesellschaftlich und privat

 

Herzog Johann Albrecht wollte für sich und seine Ehefrau, eine geborene Prinzessin von Sachsen-Weimar-Eisenach, mit seinem Schloss Wiligrad einen hoch repräsentativen wie privaten Rückzugsort gegenüber seinem eher angespannten, gesellschaftlichen bzw. politischen Leben schaffen!

 

Aber auch hier hatte er als Politiker bzw. als Mitglied des regierenden, großherzoglichen Hauses gewisse „dienstlich-offizielle“ Repräsentationsaufgaben zu erfüllen.

 

 

 

Sowohl für die Villen des Großbürgertums als auch für Schloss Wiligrad trifft der Grundsatz zu, dass die Räume des Erdgeschosses immer auch einen repräsentativen Zweck erfüllen mussten. Hier wurden die Gäste empfangen und man versuchte sich in diesen „Gesellschaftsräumen“ repräsentativ - von der „besten Seite“ zu zeigen.

 

Nur die Wohnräume des Obergeschosses waren für eine ausschließlich familiäre Nutzung vorgesehen - ohne offiziellen Gästezutritt!

  

Als eher privat genutzte Räume - im Reigen der Gesellschaftsräume -  galten lediglich das Schreibzimmer der Herzogin und das relativ kleine Frühstückszimmer! Auch die vornehme Bibliothek -  mit einer Zugangstür  für den Herzog  vom „Großen Kabinett“  aus und einer Zutrittsmöglichkeit für die  Herzogin von ihrem Schreibzimmer her - wurde als „privat“ angesehen (Siehe Bild 15).

 

  

Um eine klare Trennung im Erdgeschoss zwischen „dienstlich-repräsentativ“ und „gesellschaftlich-repräsentativ“ vorzunehmen, ließ Johann Albrecht vom planenden Architekten, Prof. A. Haupt aus Hannover, die „herzoglich-offiziellen Diensträume“ in einer seitlich abgeschlossenen Zimmerflucht (auf der Nord- und Ostseite des Herrschaftsflügels) anordnen (Siehe Bild 15).

  

Zum Erreichen der gesellschaftlich-repräsentativen Räume der herzoglichen Familie gingen die herrschaftlichen Besucher an der Haupt-Pforte des Villenflügels einfach die kurze Treppe empor, liefen gerade aus durch den überwölbten Vorraum und konnten dann nach wenigen Metern schon die gewaltige, zweigesch. Empfangshalle betreten (Siehe Bild 15, 17).

 

Falls die Herzogin von draußen kam und sie ihre Privatgemächer im Obergeschoss aufsuchen wollte, ging sie natürlich auch diesen Weg und setzte ihn in der zweigeschossigen Halle über die Repräsentationstreppe nach oben hin fort. Das Dienstpersonal hatte zu diesem Zweck die große Wendeltreppe im Hauptturm zu benutzen – für sie war die Repräsentationstreppe tabu!

 

Wollte man hingegen den Herzog zu Mecklenburg anlässlich eines offiziellen bzw. dienstlichen Termins aufsuchen, so bog man im überwölbten Vorraum nach links ab. Dort befand sich das Vorzimmer für den Arbeits- bzw. „dienstlichen“ Empfangstrakt.

 

  

Vom überwölbten Vorraum aus konnte man eigentlich auch nach rechts abbiegen – dann kam man zum Dienerzimmer bzw. zum Wirtschaftsflügel des Schlosses (Siehe Bild 5 u. 15).

 

Für Dienstpersonal stand der überdachte Haupteingang des Schlosses allerdings nicht zur Verfügung. Für die „dienstbaren Geister“ gab es den nicht überdachten Neben- bzw. Lieferanteneingang am Treppenturm in direkter Nähe zur überdachten Hauptpforte des Schlosses (Bild 1 u. 15).

 

 

3.5.2  Die Innenarchitektur der repräsentativen Gesellschaftsräume und der vornehmen Privaträume der herzoglichen Familie

 

Den stattlichsten Raum im Trakt der herzoglichen Gesellschaftsräume stellt die zweigeschossige Treppenhalle dar (Siehe Bild 15, 17, 18), die vom Hausherrn bei der Bauplanung wohl eher  als Empfangshalle statt als Wohnhalle vorgesehen worden war. Ihre Deckenhöhe von 12,5 m  schloss während der kalten Jahreszeit eine Nutzung als regelrechten Wohnraum aus („Kirchenschiff-Effekt“)! Ein ausreichendes  Beheizen war trotz der Hochdruckdampf-Versorgung des Herrschaftsflügels vom 100 m entfernten Kesselhaus her nicht möglich, wenn sich die Heizkosten in Grenzen halten sollten!!! Für den Sommer hingegen stellte die relativ kühle Halle einen durchaus geeigneten Wohnraum dar!

 

Die Wände im Erdgeschoss der Treppenhalle wurden - in Anlehnung an englische Herrensitze - in voller Höhe getäfelt (unter Verwendung rötlichen, indischen Holzes). Auch die Hallendecke erhielt eine dazu passende Holzverkleidung.

 

Für die hochrepräsentative Winkeltreppe mit Eck- und Längspodest kam diese Holzart ebenfalls zum Einsatz. Aufgrund ihrer baulichen Gestaltung und der Holztäfelung verfügt die zweigeschossige Empfangshalle über eine hervorragende Raum-Akustik!

 

Unter dem Längspodest der stattlichen Treppe wurde ein vornehmer Marmorkamin eingebaut.

 

Das Obergeschoss der Halle ist in Stuck-Manier gestaltet und im  Neo-Barock-Stil ausgeführt (Siehe Bild 18). An den beiden Hallenseiten  - rechts und links vom Fenster - befindet sich je ein Arkadengang (mit vorgesetzten Halbsäulen-Paaren und Gebälk), der den dortigen Galerielauf von der Halle abteilt. An der Wand des mittleren Galerieganges wurden Halbsäulen mit Gebälk vorgeblendet, die man jenen an den seitlichen Arkadengängen nachempfunden hat. Der mittlere Galeriegang verfügt - ebenso wie die beiden seitlichen Gänge - über eine repräsentative, hölzerne Brüstung.

 

Der größte Raum des Schlosses neben der Halle war der Salon. Er befindet sich südlich hinter der Halle in verlängerter Laufrichtung  „Schlosseingang-Treppenhalle“. Die tragende Wand zwischen dem Salon und dem benachbarten Schreibzimmer der Herzogin wurde während der  DDR-Zeit entfernt, weil man für Fortbildungsveranstaltungen eine größere „Schultisch-Stellfläche“  benötigte! Heute sieht man hier einen großen Raum in Winkelform.

 

Der westlich der Halle gelegene Speisesaal zeigt eine ähnlich prachtvolle Wandverkleidung wie das „Große Kabinett“ und wird von einem rustikalen Kreuzgewölbe überspannt (Bild 15)

 

Durch den Speisesaal gelangt man in das ehemalige Frühstückszimmer und das japanische Teezimmer, letzteres so genannt, weil in den drei zweiflügligen Türen des Zimmers schöne Holzintarsien-Arbeiten mit asiatischen Motiven (Bambus, Lotosblumen, Vögel usw.) eingearbeitet sind.

 

Über eine historische Deckengestaltung mittel  Kreuzgewölbe verfügen im Erdgeschoss des Herrschaftsflügels außer dem Speisesaal auch noch das Vorzimmer im herzoglichen Arbeitstrakt, der Durchgangssaal (Vorraum) zur Treppenhalle und der kurze Gewölberaum mit Treppe am Haupteingang des Schlosses (Siehe Bild 15 u. 17).

 

Nur vom Obergeschoss aus konnte man die Silberkammer erreichen. Deren Wände sind mit feuerfestem Wellblech verkleidet. In den Tresoren der oberen Kammer lagerten die Kronjuwelen des Hauses Mecklenburg.

 

Das Tafelsilber war im unteren Raum der Silberkammer deponiert. Beide eigentümlichen Räume sind über eine schmale Wendeltreppe („Schiffstreppe“) miteinander verbunden. Sie befinden sich auf der Hofseite, zwischen dem überdachten Haupteingang und dem Nebeneingang - die „Juwelenkammer“ oben, mit einem rechteckigen Fenster und die Silberkammer unten, mit einem runden Fenster (Siehe Bild 1) 

 

3.5.3   Die Gestaltung der repräsentativen „Dienst“- bzw.  Arbeitsräume des Herzogs

 

Den stattlichsten Raum im dienstlich-repräsentativen Arbeits- bzw. Empfangstrakt stellt das „Große Kabinett“ (gelegen auf der Ostseite des Herrschaftsflügels, Siehe Bild 15) mit dem auffälligen Eck-Kamin dar.

 

Alle Innenwände des Raumes sind bis auf Brusthöhe mit einem hölzernen Paneel verkleidet. Die Außenwand wurde im dazu passenden Farbton malermäßig angepasst - ohne Holzverblendung. Im oberen Bereich der Paneele sind vereinzelt germanische Runen in das Holz eingeschnitzt worden, die daran erinnern, dass der Herzog Johann Albrecht auch in einem deutsch-nationalen „Germanenorden“ in führender Position tätig war! Die hölzerne Kassettendecke passt im Stil der Zeit hervorragend zu den Wandpaneelen und den stattlichen Eck-Kamin mit Wappendarstellungen des gräflichen Hauses „Hahn auf Basedow“ - einem der ältesten Gutsherrengeschlechter Ostmecklenburgs.

 

Eine hohe, geschnitzte Tür verbindet diesen zentralen Arbeitsraum der Herzogs mit dem „Kleinen Kabinett“, einem vordringlich als Empfangsraum genutzten Teil des herzoglichen Arbeitstraktes (nordöstliche Ecke des Herrschaftsflügels, Siehe Bild 15). Das dortige Drillingsfenster (auf der Hofseite) verfügt in der Außenansicht über eine aufwendige Terrakotta-Einfassung mit Dreiecksgiebel bei malerischer Darstellung verschiedener Fabelwesen.

 

Vom „Großen Kabinett“ aus führt eine unauffällige Tür hinüber in die zentrale Treppenhalle, wo sie als „Geheimtür“ unter dem Eckpodest der Repräsentationstreppe positioniert worden ist.

 

Eine weitere, geschnitzte Tür verbindet das „Große Kabinett“ mit der Bibliothek des Herzogs bzw. der herzoglichen Familie. Zu diesem Raum hatte auch die Herzogin  unmittelbaren Zutritt, weil ihr privates  Schreibzimmer über eine Tür mit der Bibliothek verbunden war. Dort kann man auch heute noch die ursprünglichen Bücherschränke sehen, die um 1900 herum der edlen Gestalt einer barocken, erzbischöflichen Bibliothek  in Straßburg/Elsass nachempfunden worden sind.